Keine Überschrift.

Wie ist das eigentlich einen Menschen zu verlieren, den man grad erst kenngelernt hat, der aber schon immer ein Teil von einem war? Ein unheimlich seltsames und beklemmendes Gefühl. Schon allein die Vorstellung vom Tod ist so gruselig und unheimlich. Ich habe erst eine Beerdigung erleben müssen, aber mir war es wichtig mich zu verabschieden, ich kannte diesen Menschen so lange. Seit meiner Geburt war er da. Es gibt unendlich viele Fotos von ihm und mir in meinem Babyalbum und ein Foto hängt sogar bei mir im Flur als Erinnerung. Dann ging er. Einfach so.

Jetzt kommt dieses Thema schon wieder auf. Ich habe gehofft, dass sich dieses Thema noch ein paar Jahre mehr Zeit lässt und jetzt hat es mich wieder. Ich kann damit so unheimlich schlecht umgehen. Ich glaube, es gibt sehr wenige, die so stark sind, dass sie schnell wieder auf die Beine kommen. Es sind nicht nur die Tränen, sondern auch enorm viele Gedanken, die einem durch den Kopf schwirren, der Körper, der einfach keine Lust hat, Appetitlosigkeit und schlaflose Nächte.

Ein Teil von mir, ein Part, wegen dem ich existiere, wegen dem ich auf der Welt bin. Weg. Eine Krankheit nahm ihn. Zu früh. Scheiß Krebs. Niemand hat es verdient ein Leben so kurz zu leben,  ohne alles erreicht zu haben, was man sich erträumt hat. Wie in etwa eine Familie, ein Haus oder ein schönes Auto. Eine Familie hatte er. Auch ein Kind. Mich. Und ich bleibe zurück. Als sein einziges Kind. Sein einziges Überbleibsel.

Wir hatten nie so richtig Kontakt miteinander, jedoch wussten wir, dass da jemand ist. Ich habe meinen Platz in meiner eigenen Familie gefunden. Bei meiner Mama, meinem (Stief-) Papa und meinem Bruder. Hier fühle ich mich unheimlich wohl. Hier ist mein Zuhause. Mein (Stief-) Papa war immer da, er ist mein Papa, wie er im Buche steht, der mich behandelt, wie sein eigenes Kind, der mich so aufgezogen hat und der mich bedingungslos liebt. Egal, was kommt. Ein Papa, den ich nicht missen möchte, der bei mir einen großen Platz im Herzen eingenommen hat. Jeder hat seinen Platz, seine Aufgaben, seine Verantwortung. Jetzt habe ich noch eine Aufgabe mehr..

Ich muss mich verabschieden von jemandem, den ich nur durch eine  Krankheit kenngelernt habe und das erst im letzten Jahr. Er war immer da, aber auch nie so richtig. Nur in meinen Gedanken. Ich habe mich immer gefragt, wo er ist und was er tut, hatte jedoch nie den Mut einen Schritt weiterzugehen. Er hat in der selben Stadt gelebt wie ich. Das habe ich aber nie gewusst.

Ich kann mich an eine Situation sehr genau erinnern: Ich war mit meiner Mama beim Bäcker und habe als Erste den Laden verlassen. Ein großer, dünner Mann mit blonden, orangestichtigen Gelhaaren kam mir entgegen, der mich genervt hat, weil er sich ebenfalls durch die Tür drängeln musste. Meine Mama folgte mir und pfiff mich zurück. ‚Schau mal, wer hier ist!‘ Ja, es war mein Erzeuger (meine Mom und ich haben ihn immer so genannt). Ich habe ihn nicht erkannt, weil meine Zeit mit ihm in meiner Kindheit sehr begrenzt war. Danach war wieder etliche Jahre Stille. Bis letztes Jahr.

Was mich jedoch am meisten belastet ist die Tatsache, dass ich mich nicht persönlich von ihm verabschieden konnte. Es war einfach zu spät. Ich war zu spät. Ich habe es nicht gewusst. Hab ich ein schlechtes Gewissen? Ja! Und es bringt mich innerlich um. Ich wünsche niemandem dieses ekelhafte, erdrückende Gefühl der Schuld. Ich habe wirklich keinen Grund für Schuldgefühle, aber sie sind da. Und nun muss ich am Grab abseits stehen. Fern von dem, mich persönlich zu verabschieden. Nur im Hintergrund und stillschweigend, aber ich werde da sein, um einem Menschen ‚Tschüss‘ zu sagen, der mir auf eine gewisse Art und Weise doch viel bedeutet, eben weil er mein leiblicher Vater ist und ich seine Tochter. Ein Part von mir, ohne den es mich nunmal nicht gäbe.

Jetzt wird es Zeit für ein weiteres Foto im Flur. Als Erinnerung.

 


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